Das Bild und das Wort in der tschechischen bildenden Kunst der sechziger Jahre

24/05/2017 bis 27/08/2017
Ausstellungssaal Masné krámy
Autor: 
Alena Pomajzlová
Kurátor: 
Petra Kočová

Die Ausstellung zielt thematisch auf eine sehr verbreitete Strömung der tschechischen bildenden Kunst der sechziger Jahre, die sich programmatisch der Beziehung von Bild und Wort widmete. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Bedeutungsseite der Verbindungen zwischen Wort und Bild, konkret auf asemisches Schreiben, Destruktion des Wortes oder Textes, Missverhältnis zwischen Wort und dem, was dieses Wort bezeichnet.

Ausstellende Künstler:

Jiří Kolář, Karel Malich, Václav Boštík, Běla Kolářová, Václav Havel, Jiří Balcar, Ladislav Novák,  Dalibor Chatrný, Jiří Valoch, Eduard Ovčáček.

Ist es möglich, ein Bild zu lesen und ein Wort zu sehen? Der auf den ersten Blick klare Unterschied zwischen dem Bild und Wort, der die visuelle und verbale Weise der Mitteilung unterscheidet, allgemeiner dann das Sehen und das Lesen, zeigt sich viel komplizierter zu sein. Das Sehen hängt nämlich mit dem Denken und Wort zusammen, andererseits können wir einen Text oder Gedicht nicht nur lesen, sondern auch mit Sehkraft wahrnehmen. Dieses bedeutet, dass es da neben den offensichtlichen Unterschiedlichkeiten auch eine gegenseitige Beziehung gibt. Das Bild kann sich mit dem Wort überschneiden, verbinden, treffen oder sich auf seine Stelle verschieben, dabei behalten sich beide Formen ihre Spezifika. Es handelt sich um zwei verschiedene Medien, doch mit der Möglichkeit der Reversibilität.
Auf die Reversibilität des Bildes und Wortes orientierte sich die Kunst der sechziger Jahre. Zu starken Impulsen zählten neue experimentale Verfahren und künstlerische Intermedialität, das Schaffen reagierte aktuell auf „linguistische Wende“ in der Philosophie und Semiologie. Beides widerspiegelte sich spezifisch ebenso in der tschechischen Kunst. Die Literatur wird durch die visuelle Poesie bereichert, die bildende Kunst durch das Wort inspiriert. Die gleichnamige, im Jahre 1966 in Václav Špálas Galerie veranstalte Ausstellung stellte damals auch die Werke vor, die die Beziehung vom Bild und Wort reflektiert hatten. Wir kehren nun zu diesem zeitgenössisch signifikanten Thema zurück und stellen dieses in sechs thematischen Bereichen vor. Das Auswahlkriterium für die gegenwärtige Ausstellung ist nicht nur die primäre Anwendung der Wörter und Buchstaben in einem bildenden Werk, sondern auch spezifische Beziehungen vom Bild und Wort. Sie konzentrieren sich auf verschiedene Formen der Bedeutungsrelativierung, zeigend sich zum Beispiel durch das Zerschlagen des Textes und Visualisierung seiner Fragmente, durch den Widerspruch zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten oder durch das Suchen von neuen Arten der Mitteilung außer dem konventionellen Sprachsystem.  Nicht in der letzten Reihe wenden sie sich auch dazu, was und wie wir sehen.

1. Die Schrift ist die Malerei im fortgeschrittenen Stadium. Das Bild als Zeichen
Jan Křížek und Václav Boštík interessierten sich schon seit der zweiten Hälfte der vierziger Jahre um sog. primitive Kulturen, archaische Symbole und Rhythmus der ornamentalen Ordnung. Sie suchten nach dem unmittelbareren Weg zum Festhalten der Ereignisse, sie wollten zu den Anfängen des Bildes und der Schrift durchdringen. Durch die Vereinfachung, symmetrische und rhythmische Gliederung gelangten sie an der Wende der fünfziger und sechziger Jahr zur Auffassung des Bildes als Zeichen. Es handelt sich überwiegend um lineare Flächenzeichnungen und Gemälde, die an die Ursymbole oder Zeichen der Bildschrift erinnern. Die Maler reißen sich vom mimetischen Festhalten der Realität los, sie suchen nach dem begrifflichen Grund des gewählten Gegenstandes. Křižíks Zeichnungen gehen schrittweise von den stilisierten Figuren zu den abstrakten gestischen Strichen über, als ob der Maler die Entwicklungsetappen vom Bild zum Zeichen durchmachte. Daher bezeichnete er die Schrift als „Malerei im fortgeschrittenen Stadium“. Boštík reduzierte die Formen so, dass „die Malerei den Gegenstand nicht widerspiegelt, sondern nur präsentiert“. Ähnlich arbeitete am Anfang der sechziger Jahre auch Karel Malich. Gegensätzlich ging Zdeněk Sklenář vor, der Ausgangspunkt war für ihn nicht das Bild, sondern die Zeichen des chinesischen Alphabets. Er betonte die bildende Seite der chinesischen Kaligraphie, in seinen Werken wandelt sich die ursprüngliche verbale Bedeutung in die rein visuelle um, obwohl wir in der verhüllten Bedeutung den Hinweis zur Schrift auch weiterhin wahrnehmen.

2. Sichtbare Schrift muss unlesbar sein. Asemisches Schreiben und gestische Malerei
Asemisches Schreiben wirkt genauso wie die primitive, unartikulierte, zum Beispiel von Dadaisten benutzte Sprache. Es entgleitet der Rationalität. Nach dem grob gefolgten Zeilenabstand ahnen wir, dass es sich um irgendeine handschriftliche Aufnahme handelt. Wir sind doch nicht fähig, diese zu lesen, wir sehen nur Chaos von Linien. Im Unterschied zum verständlichen Text nehmen wir mehr ihre Form wahr. „Sichtbare Schrift muss unlesbar sein“, behauptete französischer Philosoph und Ästhet Roland Barthes in seiner Studie über dem amerikanischen Maler Cy Twombly. Seiner Meinung nach dient die Schrift nicht nur zum Aufzeichnen der Wörter, es handelt sich weder um einen Bericht, der Informationen überträgt, noch um gewöhnlich verständliche Zeichen. Das Wesentliche ist die Geste, der Akt des Schaffens, der irgendetwas mitteilt, was sich hinter den Wörtern verbirgt. Diese Aussage lässt sich auch auf die sog. analfabetogramy („Analphabetogramme“) und cvokogramy („Irrengramme“) von Jiří Kolář aus den Jahren 1961-1962 applizieren, die die Möglichkeiten der Handschrift bei der absichtlichen Unterdrückung der Rationalität erforschen oder auf Ladislav Nováks Briefe und Zen-Dichter, die durch automatisches Schreiben inspiriert sind. Jiří Balcars Krakelfüße aus den Dekreten und Briefen beziehen sich auf einen anderen Typ des unverständlichen Schreibens, nämlich auf Kafkas absurde und direktive Akten. Diese werden durch persönlich verlebtes Bewusstsein der Leere der Wörter und Unmöglichkeit der Kommunikation hervorgerufen. Die Expressivität und Rhythmus der Pseudoaufzeichnungen des asemischen Schreibens stehen der gestischen Malerei sehr nahe, wie zum Beispiel die Bilder von Jan Kotík, Miroslav Šnajdr oder Zdeněk Kirchner beweisen.

3. Wie Nüsse im Sack. Das Unlesbarwerden des Lesbaren und die neue Ordnung der optischen Strukturen
Das Wort ist nicht nur ein zum Lesen bestimmtes Zeichen, wie Josef Hiršal und Bohumila Grögerová in ihrer Vorlesung im Jahre 1962 angeführten, sondern es hat auch sein visuelles Potential, womit man weiter arbeiten kann. Sie dachten vor allem an die neu geschaffene Poesie, aber die Prinzipien, die sie durchgesetzt hatten, spiegelten sich auch in der bildenden Kunst wider. Jiří Kolář, der vorher in seinem dichterischen Schaffen mit den Wörtern experimentiert hatte, wurde sich dessen bewusst, dass sich auch das Wort selbst „schneiden, reißen, deformieren“ lässt. Im gegenseitigen Dialog mit Ladislav Novák aus Trebitsch erfunden sie dann neue bildende Verfahren. Beide dekonstruierten die Texte, sie rissen und scherten diese, schichteten Fragmente, machten das Geschriebene unlesbar. Novák schafft seit dem Jahre 1961 seinen Zyklus Die Rosen, zuerst zusammengeklebte und dann allmählich in den Raum aufgeschnittene Seiten der Zeitschriften oder Bücher. Bei Kolář gipfelt die Zusammensetzung der Textfragmente in seinen Chiasmagen – den Flächen, die so aussehen, als ob sie mit einer chaotischen Zusammensetzung der Textabschnitte bedeckt wären. Der Name dieser Technik ist aus dem Griechischen entlehnt und bedeutet die Kreuzung; Chiasmus bezeichnete früher auch eine stilistische „Verzierung“, bei der „sich die Wörter im Satz wie Nüsse im Sack vermischten“.  Ebenso Kolář vermischt die Textabschnitte und klebt diese nicht nach der Bedeutungslogik, sondern nach seiner eigenen gewählten neuen optischen Ordnung. Diese Werke hängen sehr eng mit den damaligen geometrischen Strukturen von Zdeněk Sýkora und Hugo Demartini oder mit energetischen Lichtfeldern von Václav Boštík zusammen.

4. Alles anders sagen. Der Buchstabe als ein visuelles und Bedeutungszeichen
Der Buchstabe ist das Grundelement des Wortes, von sich selbst hat er doch nur ein begrenztes Bedeutungspotenzial. Diese Tatsache wollten schon die Futuristen und Dadaisten ändern, die aus dem Buchstaben ein visuelles Zeichen geschafft hatten, den gleichen Weg folgte später Paul Klee. In den sechziger Jahren wurde der Buchstabe zum Ausgangspunkt der visuellen Poesie – am häufigsten wurde die Schreibmaschine mit dem unveränderlichen Repertoire der Buchstaben und Zeichen benutzt, wobei selbst deren Anordnung auf der Seite bedeutungsbildend war. Es entstanden verschiedene Typogramme, maschinenschriftliche Strukturen und „Wortbilder“ (Josef Hiršal, Bohumila Grögerová, Vladimír Burda, Ladislav Novák, Jiří Kolář, Václav Havel und weitere). Jiří Kolář gestaltete die Befreiung der Buchstaben aus der Gefangenschaft der Wörter in einer Collage mit Ausbruch und auseinandergeworfenen Wörtern. Auch in weiteren Collagen entband er die Buchstaben von den Wörtern, er destruierte das alphabetische System, dachte über den Zustand vor der Entstehung des Alphabets und der Sprache nach; er fand die Sprache nach Lévi-Strauss als Mittel zur Versklavung. Er wollte „alles anders sagen“, wie er ein nur vom Häuflein geworfener Wörter zusammengesetztes Typogramm benannte. Mit einzelnen Graphemen arbeiteten ebenso Dalibor Chatrný und Jiří Valoch.
Im Zusammenhang mit den Sprach- und Schriftexperimenten ist noch ein Bereich zu erwähnen und zwar Kinderbücher. Eine ganze Reihe bedeutender Autoren widmete sich dieser Thematik, wie z.B. Hiršal, Grögerová, Kolář, Fuka, Brázda, Nováková u.a. Dieses wurde durch größere Toleranz zur Kinderliteratur ermöglicht, vielleicht auch durch Unverständnis experimentaler Teile, die die Autoren in die Werke eingeschmuggelt hatten, wahrscheinlich unter dem Vorwand der Ausbildung oder des Spieltriebs. Obwohl es sich eher um ein Randgebiet handelt, findet man da einige Merkmale, die die genannten Künstler auch in ihrem „ernsten“ Schaffen durchsetzten, und zwar die Beziehung zwischen dem Bild und Wort, Möglichkeiten verbaler und visueller Darstellung einer Sache. Die Beziehung zu Kindern entsprach übrigens der Suche nach gewissen vorsprachlichen Wurzeln der Kommunikation.

5. Noch die Schrift ist anders. Das durch das Bild ersetzte Wort
Die Worte „noch die Schrift ist anders“ lesen wir auf einem Fragment der Collage von Ladislav Novák. Er kombiniert darin verschiedene Schnipsel der Fotografien, Abdrucke, Flecken und gestischer Zeichen, als ob er ein Musterbuch  möglicher Formen der die Worte ersetzenden Mitteilungen schaffen würde. Diese Arbeit hängt nicht nur mit den visuellen Experimenten zusammen, sondern auch mit der damalig verspürten „Krise der Sprache“, die sich mechanisierte und bürokratisierte. „Mit der ständigen Benutzung der Wörter stelle ich ihre Unbenutzbarkeit fest“, teilt uns Věra Linhartová skeptisch mit. Bildende Künstler hatten die Lösung in der Ersetzung der Wörter durch das Bild oder die Sache selbst gefunden, womit sie sich von der Vermittlungsrolle des Wortes trennten. Bilder und Sachen sind doch nicht fähig, die Wörter direkt zu ersetzen, es handelt sich um etwas anderes als in Lesebüchern, die das Bild richtig benennen und das Lesen vereinfachen. Bildende oder sachliche Gedichte entbinden sich völlig vom System der Benennung einer Sache mit einem Bild. Es ist möglich, nur ihre bildende Seite wahrzunehmen oder eventuell die verborgene Bedeutung assoziativ nachzuvollziehen. Sie verweisen eher auf einen idealen Zustand vor der Sprache, der uns schon unerreichbar ist. Dazu zählen sich bildende und sachliche Gedichte von Jiří Kolář und Bildalphabete und Assemblagen von Běla Kolářová; zum Kreis der Collagen-Bildgedichte lassen sich auch die Strukturen der Zeichenanordnung von Dalibor Chatrný zuzuordnen.

6. Ja / Nein. Auseinandersetzungen der Bedeutungen
Die Künstler reagierten auf die Abwertung und Profanieren der Sprache, sowie auf moralischen Missbrauch der Rede durch Suchen anderer Formen der Äußerung, zugleich wollten sie aber widerspiegeln, was mit dem Wort passiert. Sie sahen, dass die Wörter etwas anderes bedeuten, häufig bezeichnete ein Wort das direkte Gegenteil dazu, was dieses Wort bedeuten sollte. Der Widerspruch zwischen der Wirklichkeit und deren verbalen Bezeichnung wurde sehr stark verspürt und ebenso bildend aufgenommen. Sucher und Kritiker sprachlicher Absurditäten war vor allem Václav Havel, der in den Typogrammen seiner Anticodes auf den Gegensatz zwischen dem Bezeichnenden und Bezeichneten hinwies. Dieser Gegensatz verstärkt sich noch in der Zeit der „Normalisierung“.  Die Brücke zwischen dem Schaffen der sechziger Jahre und der darauffolgenden Periode bildet das Schriftschaffen von Dalibor Chatrný und die Konzeptwerke von Jiří Valoch. Chatrný akzentuiert ebenso unterschiedliche Bedeutungen der Wörter und Visualität, seine Werke mit den Farbspektren weisen eher auf magrittsche problematische Verbindung bildender Repräsentation und Sprachreferenz hin. Erst später in den sechziger Jahren arbeitet er mit den Gegenwörtern wie ja/nein, die sich auch auf die damalige Gesellschaftssituation beziehen können. Valochs Variationen visualisierter Texte erscheinen sehr häufig, es zählen sich dazu Eingriffe in die Landschaft, Schreiben auf Fotografien oder Wortkonzepte. Sie kommen außerhalb der offiziellen Sphäre der „Kunst“ vor. Ein der Ziele war, den Wörtern ihre Bedeutung zurückzugeben, oder noch besser die Wörter mit neuen Bedeutungen zu füllen, die vom alltäglichen Gebrauch nicht verdorben sind.