Zwischenkriegsmoderne in den Sammlungen der Westböhmischen Galerie in Pilsen

27/04/2016 bis 18/09/2016
výstavní síň Masné krámy
Autor: 
Alena Pomajzlová
Kurátor: 
Petra Kočová

Die Kollektion der Kunst zwischen den beiden Weltkriegen bildet einen der bedeutendsten Bestandteile in den Sammlungen der Westböhmischen Galerie in Pilsen. Die Ausstellung stellt Werke der bildenden Kunst der 20er und 30er Jahre an fast hundert Exponaten (Gemälde, Plastiken, Zeichnungen) vor, die von mehr als zwanzig führenden böhmischen Künstlern geschaffen wurden.

Die Ausstellung stellt die Werke der Zwischenkriegsmoderne in den Sammlungen der Westböhmischen Galerie in Pilsen vor und knüpft hiermit an das erfolgreiche Projekt an, das die dortige hochwertige Sammlung des tschechischen Kubismus bearbeitete (2009). Die Zwischenkriegszeit ist in den Stilen verschiedenartiger und umfasst sowohl die Werke der Vorkriegskubisten und ihre auseinandergehenden Wege, als auch das Schaffen der jüngeren Autoren, die zum Primitivismus, Zivilismus, magischen Realismus oder Surrealismus neigen. In dieses Schaffen, in den 20er Jahren oftmals idyllisch dargestellt, beginnen dann in den 30er Jahren Verweise auf wirkliche Kriegsgefahr einzudringen, die sich in der Expression und Betonung der bedeutungsmäßigen, appellativen Seite der Kunst  zeigen. 

Künstler: Josef ČapekEmil Filla, Otto Gutfreund, František Janoušek, Alfréd Justitz, Georges Kars, Rudolf Kremlička, Milada Marešová, Josef Šíma, František Tichý, Toyen, Antonín Procházka, Václav Rabas, Václav Špála, Jan Zrzavý und andere.

Zwischenkriegsmoderne
Die Ausstellung stellt die Werke der bildenden Kunst der 20er und 30er Jahre aus den Sammlungen der Westböhmischen Galerie in Pilsen vor. Die im Namen benutzte  Benennung „Zwischenkriegsmoderne“ ist jedoch kein Fachausdruck für einen konkreten Stil des künstlerischen Schaffens. Die diesem Begriff zugeordneten Werke unterscheiden sich auseinander in vielen Merkmalen. Die 20er und 30er Jahre stellen nämlich eine dynamische Periode vor, wo sich künstlerische Gattungen sowie auch einzelne Äußerungen wechseln, durchdringen und kreuzen. Individualistische Moderne aus der Vorkriegszeit fortsetzt, ein Teil der Künstler neigt zur internationalen Avantgarde, andere suchen Modernität in neuer Auffassung von klassischen Werten der Kunst, weitere gehen seine eigenen Wege. Doch alle Künstler lehnen kategorisch konservative Äußerungen und ihre inhaltlich leeren bildlichen Klischees ab. Die der Zwischenkriegsmoderne angehörenden Maler und Bildhauer sind also trotz äußerlicher Verschiedenheit Anhänger von aktuellen, mit der Entwicklung der modernen europäischen Kunst korrespondierenden Gattungen.

Künstlergruppe Tvrdošíjní und unterschiedene Modernität
Die Künstlergruppe Tvrdošíjní („Die Unentwegten“) war in den Jahren 1918-1924 tätig. Ihre Mitglieder setzten eine individuelle Stellung zum künstlerischen Schaffen durch, neigten zu keinem konkreten künstlerischen Stil. Das Einzige, was sie verband, war – mit Josef Čapeks Worten – die Bemühung um einen „modernen bildenden Ausdruck“. Für jedes Mitglied bedeutete dieses aber etwas anderes. Zum Beispiel für Čapek war es Konstruktivität und Enthüllen der Malerei, also bildende Ordnung und eigenartige Handschrift. Jan Zrzavý bevorzugte vereinfachende Formenlehre und spirituell gezieltes Schaffen, Václav Špála und Rudolf Kremlička setzten dagegen sinnlich wahrgenommene Malerei durch. Der Kunstkritiker und Theoretiker Václav Nebeský bezeichnete das eigenartige Schaffen der Mitglieder treffend als „unterschiedene Modernität“. Als ob diese seine Worte Charakter der ganzen nachfolgenden Zwischenkriegszeit vorzeichnen würden.

Primitivismus und Rückkehr zur Ordnung
Am Anfang der 20er Jahre bezweifelt man die autonome Rolle der Kunst, wie sie sich vor dem ersten Weltkrieg herauskristallisierte. Es setzt sich die Forderung an einen verständlichen Inhalt durch, das Schaffen konzentriert sich unter der Losung „Rückkehr zur Ordnung“ auf die abbildende Form. Ihre Gestalt kehrt jedoch nicht zum beschreibenden Naturalismus zurück, sondern zum „Primitivismus“, zur Einfachheit und Schlichtheit ungeschulter Volksmaler. Henri Rousseaus Schaffen wurde zur großen Inspiration, sein eigenes Bildnis Ich, Porträt – Landschaft wurde sogar im Jahre 1923  in die Sammlungen der damaligen Modernen Galerie in Prag gekauft. Zum Primitivismus bekannten sich anfangs sowohl die Vertreter der Avantgarde aus der Künstlergruppe Devětsil („Pestwurz“), wie zum Beispiel František Muzika, als auch die eher zur Tradition und Kontinuität des künstlerischen Schaffens neigenden Maler (Karel Holan, Miloslav Holý). Einige Werke weisen überdies auf deutsche neue Sachlichkeit hin (Milada Marešová), vereinzelt bleibt vereinfachender Klassizismus von Antonín Procházka, der in Brünn wirkte.

Modernität und Tradition
Primitivismus am Anfang der 20er Jahre tendierte zur Sentimentalität oder utopischen konfliktlosen Idylle, daher verlassen ihn die Künstler bald. Devětsil schließt sich nach der umwälzenden Ausstellung Basar der modernen Kunst (1923) der internationalen Avantgarde an. Andere Künstler konzentrieren sich auf traditionelle malerische und plastische Werte, in denen sie neue Möglichkeiten des modernen Ausdrucks suchen. Kennzeichnend ist der Weg des Bildhauers Otto Gutfreund, der am Anfang der 20er Jahre kubistische Skulpturen der Vorkriegszeit verlässt, kommt eine kurze Etappe der kolorierten zivilistischen Plastiken durch, um sich zu bemühen, Modernität aus der klassischen Bildhauerfigur zu gewinnen. Ähnliche klassizisierende Tendenzen weißt auch die Malerei der zweiten Hälfte der 20er Jahre auf, die mit den Werken von Rudolf Kremlička, Alfred Justitz und Jiří/Georges Kars vertreten wird. Eine spezifische Stelle nehmen kürzlich entdecktes Schaffen von Svatopluk Máchal und überrealistische Atmosphäre der Zirkusszenen von František Tichý ein.

Reine Bildhaftigkeit
Den Begriff „reine Bildhaftigkeit“ benutzte der Kunsthistoriker und Theoretiker Vincenc Kramář für die Betonung der Malerkunst und sinnlicher Qualität der Gemälde. Dazu zählen sowohl die an Fauvismus anknüpfenden Gemälde als auch die Werke, die den Vorkriegskubismus um das Malerelement des Ausdrucks erweitern. Fauvismus wird von Václav Špála vertreten, der vorherige kubistische Versuche verließ und sich völlig in einer Serie der Landschaften auf die Verbindung von hellen, farbigen Tönen und dynamischer Handschrift konzentrierte. Dagegen Emil Filla bleibt dem Kubismus treu, achtet aber viel mehr auf die Farbigkeit des Gemäldes. Er benutzt pastose Farbaufträge und deformiert expressiv die Formen oder umgekehrt reduziert die Farbigkeit und konzentriert sich auf den visuellen Effekt der subtilen weißen Linien. An sein Schaffen knüpfen jüngere Maler (zum Beispiel František Muzika) an, denen Kubismus half, formbare Gesetze moderner Malerei zu finden.

Gemälde als Erinnerung
Die Wende der 20er und 30er Jahre ist im Zeichen der fortschreitenden Neigung zum Surrealismus. Seine Vorstufe bilden imaginäre Landschaften von Jan Zrzavý, František Muzika und Josef Šíma, die die unmittelbare visuelle Wahrnehmung völlig verlassen und sich bemühen, das Erlebnis festzuhalten, den Eindruck, der im Gedächtnis als Erinnerung blieb. Die Landschaft hört auf, die Widerspiegelung betrachteter Wirklichkeit zu sein, sie wird zur magischen, neu geschaffenen Realität. Dies gilt vor allem bei den Zeichenlandschaften von Josef Šíma. Aus den ähnlichen Anregungen, also aus der Wendung in sein eigenes Innere, entstanden die Gemälde von Jindřich Štyrský und Toyen. Sie bildeten die Verbindung zwischen der Poesie und Malerei, die Kompositionen schichteten leicht Gegenstandsfragmente und abstrakte Zeichen, die aus der Fläche der Leinwand wie aus der Tiefe der Erinnerungen aufgetaucht hatten. Diesen eigenen Stil, der während des Aufenthalts in Paris entstanden hatte, nannten Štyrský und Toyen Artifizialismus. Nach der internationalen Ausstellung Poesie 32 schließen sich beide dem Surrealismus an und werden im Jahre 1934 Mitglieder der neu gegründeten Surrealistischen Gruppe.

Zweite Expression
Im Zusammenhang mit den Bedrohungen des faschistischen Deutschlands am Ende der 30er Jahre politisiert sich ein großer Teil des künstlerischen Schaffens, äußert sich zum aktuellen Geschehen offen oder in Metaphern. Dringlichkeit der Aussage verstärkt man häufig mit Expressivität und absichtlichen Deformationen. Jan Bauch wendet sich in den farbig ausdrucksvollen Gemälden zum aus der christlichen Ikonographie entlehnten Motiv des Leidens und Todes, František Janoušek bildet eine Serie von surrealen Visionen mit chaotischer Mischung der deformierten Figuren und Formen, die ebenso auf Destruktion, Untergang und Tod hinweisen. Josef Čapek bleibt bei der verständlichen abbildenden Form, jedoch potenziert er stufenweise die Ausdrucksstärke seiner Gemälde mit dramatischer, auf Edvard Munch hinweisender Handschrift. In Emil Fillas Werken lässt man die Verwandlung von den surrealistischen Deformationen aus der ersten Hälfte der 30er Jahre zur ekstatischen Expression der durch antike Sagen inspirierten symbolischen Stoffe folgen.